Ich betreibe die Seite, die KI als Fokusthema hat, bin aber nicht per se ein KI-Freund bzw. Verfechter. Oft wird KI als Vorwand genommen, Alleinstellungsmerkmale zu generieren und Marketing zu betreiben. Aber das ist meine bescheidene Meinung.
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Gesellschaftliche Wahrnehmung von KI
Der Begriff Künstliche Intelligenz (KI) ist in der breiten Öffentlichkeit mittlerweile fast allgegenwärtig – in Deutschland haben 92 % der Menschen schon von KI gehört (siehe bitkom.org). Allerdings führt diese Popularität nicht automatisch zu einem präzisen Verständnis. Im Alltag kann der Begriff KI zu falschen Erwartungen und unnötigen Ängsten verleiten. Viele stellen sich unter KI etwas vor, das mit menschenähnlicher Intelligenz oder sogar Science-Fiction-Robotern gleichzusetzen ist. Diese Vorstellungen sorgen einerseits für große Erwartungen an KI-Anwendungen – laut einer Bitkom-Umfrage sehen drei Viertel der Befragten KI als Chance und haben hohe Erwartungen an ihren Nutzen. Andererseits schürt das diffuse Verständnis auch Skepsis und Sorgen: Manche befürchten unkontrollierbare „Superintelligenzen“ oder den Verlust von Kontrolle und Arbeitsplätzen.
Diese ambivalente Wahrnehmung beeinflusst Entscheidungen der Verbraucher. Produkte, die als „KI-gestützt“ beworben werden, wirken auf viele Konsumenten per se fortschrittlich und leistungsfähig. Der Begriff KI verleiht Produkten einen Innovationsbonus, was Kaufentscheidungen positiv beeinflussen kann – der sogenannte Halo-Effekt in der Markenwahrnehmung. Gleichzeitig kann die mystifizierende Aura von KI auch Misstrauen oder Furcht hervorrufen, etwa wenn Konsumenten befürchten, die Technologie nicht zu verstehen oder die Kontrolle abzugeben. Studien deuten sogar darauf hin, dass übermäßiges KI-Buzzword-Bingo in der Werbung das Vertrauen unterminieren kann. Insgesamt ist die gesellschaftliche Wahrnehmung von KI von einem Spannungsfeld geprägt: Faszination und hohe Erwartungen treffen auf diffuse Ängste und Skepsis. Diese Gemengelage begünstigt ein Umfeld, in dem Marketingbegriffe rund um KI stark wirken – positiv wie negativ.
Marketing-Trends: KI als Buzzword
Im Zuge des KI-Booms der letzten Jahre hat sich ein klarer Marketing-Trend herausgebildet: Immer häufiger werden Produkte als „KI-gestützt“ oder „mit KI“ beworben, obwohl gar keine echte KI dahintersteckt. Dieses Phänomen wird analog zum Greenwashing oft als KI-Washing bezeichnet. Unternehmen nutzen den Modebegriff „KI“ als Marketinginstrument, um vom positiven Image dieser Technologie zu profitieren. So wird suggeriert, die eigene Software sei besonders innovativ und zukunftsweisend, selbst wenn es sich technisch nur um klassische, fest programmierte Algorithmen oder einfache Regelwerke handelt.
Typische Strategien im KI-Washing sind:
- Produkte mit vagen KI-Begriffen schmücken, z. B. „KI-gestützt“ oder „mit intelligenten Algorithmen“, ohne klare Angabe, was die KI eigentlich tut.
- Übertreibungen oder Verzerrungen in Werbeaussagen – etwa die Behauptung, ein System nutze maschinelles Lernen, obwohl tatsächlich nur statische Regeln angewendet werden.
- Das Hinzufügen minimaler oder irrelevanter „KI-Komponenten“ rein zu PR-Zwecken. Ein Beispiel: Eine App wirbt mit KI-basierten Empfehlungen, obwohl die Empfehlungen größtenteils auf simplen Wenn-Dann-Regeln basieren,
- Verweis auf populäre KI-Begriffe (Chatbots, neuronale Netze, etc.), um Innovationslust zu wecken, selbst wenn die zugrundeliegende Technik konventionell ist.
Unternehmen verfolgen mit diesen Taktiken das Ziel, sich als innovativ und visionär zu positionieren. Der Titel „KI“ verkauft sich gut – diese Aussage bestätigt sich sowohl im Marketing als auch gegenüber Investoren. Eine Untersuchung ergab z.B., dass von 2830 vermeintlichen KI-Startups in Europa nur etwa die Hälfte tatsächlich KI einsetzte – dennoch erhielten die als KI-Firma vermarkteten Startups im Schnitt 15–50 % mehr. Auch im Endkundenmarkt explodierte das Interesse: Seit dem Hype um ChatGPT Ende 2022 schoss die Anzahl der Google-Suchanfragen nach „KI“ in Deutschland massiv in die Höhe (siehe absatzwirtschaft.de). Unternehmen springen auf diesen Zug auf, um in Suchergebnissen, Medien und bei Kundenaufmerksamkeit vorne mitzuspielen.
Kurzum: KI-Begriffe werden inflationär als Buzzword eingesetzt, ähnlich wie einst „Big Data“ oder „Cloud“, nur um Produkte moderner erscheinen zu lassen. Dieser Marketingtrend verzerrt allerdings die Realität dessen, was die Software tatsächlich leistet, und birgt Risiken für Verbraucher und Branche.
Psychologische Wirkmechanismen beim KI-Buzzword
Wird ein Verbraucher mit dem Begriff „KI“ konfrontiert, treten verschiedene kognitive und emotionale Mechanismen in Kraft. Ein zentrales Phänomen ist der Eliza-Effekt: Menschen neigen dazu, Computerprogrammen mit KI-Label menschliche Züge und Fähigkeiten zuzuschreiben. Schon simple Chatbots lösen oft das Gefühl aus, ein denkendes Gegenüber vor sich zu haben. Dieser Anthropomorphisierungseffekt führt dazu, dass Konsumenten die Kompetenz einer als „KI“ deklarierten Software überschätzen – sie erwarten z.B. Lernfähigkeit, Urteilsvermögen oder gar Einfühlungsvermögen, wo in Wirklichkeit nur starre Programmierung agiert (interessanter Artikel auf Englisch dazu auf builtin.com). Übersteigerte Erwartungen sind die Folge, häufig gefolgt von Enttäuschung, wenn das System diese Erwartungen nicht erfüllt.
Gleichzeitig spielt die psychologische Wirkung von Schlagwörtern eine Rolle. Der Begriff KI weckt bei vielen positive Emotionen wie Neugierde, Staunen und den Wunsch, etwas Zukunftsmäßiges auszuprobieren. Dies kann die Kaufbereitschaft steigern, da Verbraucher unbewusst annehmen, ein KI-gestütztes Produkt sei leistungsfähiger oder „smarter“ als herkömmliche Lösungen. Hier wirkt auch der Bandwagon-Effekt: Niemand will den Anschluss verpassen, wenn „alle Welt“ auf KI setzt – Konsumenten wie Unternehmen fühlen sich motiviert, auf den KI-Zug aufzuspringen, um modern zu bleiben.
Allerdings gibt es auch ambivalente emotionale Reaktionen: Manche Menschen empfinden Misstrauen oder Unbehagen, wenn sie hören, dass eine KI im Spiel ist. Mögliche Gründe sind Kontrollverlustängste oder die Vorstellung, eine Maschine treffe Entscheidungen, was Unbehagen auslöst. Interessanterweise zeigen Untersuchungen, dass der allzu inflationäre Gebrauch des Wortes KI sogar Vertrauen kosten kann: Wenn Verbraucher den Verdacht schöpfen, es handle sich um einen bloßen Marketingtrick, reagieren sie skeptisch. Ein bekanntes Muster ist auch die Algorithmus-Aversion – wenn Kunden merken, dass ein „intelligentes“ System fehlerhaft ist, wenden sie sich teils stärker davon ab, als sie es bei einem menschlichen Fehler täten. Kurz gesagt: Das KI-Buzzword kann sowohl Faszination als auch Verunsicherung hervorrufen. Unternehmen, die diesen Begriff nutzen, spielen bewusst mit diesen psychologischen Effekten, riskieren aber bei Enttäuschung der Erwartungen einen Vertrauensverlust.
Beispiele für irreführende KI-Vermarktung
Es gibt zahlreiche Beispiele, in denen Software mit klassischen Algorithmen als KI angepriesen wurde, ohne dass tatsächlich maschinelles Lernen oder ähnliche KI-Techniken zum Einsatz kamen. Vermutlich habt ihr in den Nachrichten auch schon von dem ein oder anderen Fall gehört, wenn ihr euch für KI-Themen interessiert. Hier einige krasse Fälle:
- Medizin-Chatbot „Zach“ (Neuseeland) – Ein als KI angepriesenes System sollte Patientenfragen beantworten und Diagnosen stellen. Tatsächlich verbarg sich hinter Zach keine echte KI, sondern ein Team von Menschen, die die Antworten manuell erstellten. Die Gründer hatten ihr Unternehmen zeitweise mit 500 Mio. NZ$ bewertet, bis 2019 eine Untersuchung der Regierung enthüllte, dass gar keine KI existierte. Die teils minutenlangen Antwortzeiten erklärten sich dadurch, dass letztlich menschliche „KI-Operatoren“ arbeiteten. Dieses Beispiel zeigt ein krasses Pseudo-KI-Vorgehen (auch Wizard-of-Oz-Methode genannt), bei dem menschliche Arbeit hinter einer KI-Fassade versteckt wurde.
- Engineer.ai / Builder.ai (Indien) – Ein Startup versprach eine Plattform, mit der Software-Apps zu 80 % automatisiert von einer KI entwickelt würden. Tatsächlich erledigten Software-Entwickler manuell den Großteil der Arbeit, während die KI-Versprechen vor allem Investorengelder lockten. Ein Vorstandsmitglied verklagte das eigene Unternehmen wegen dieser irreführenden Darstellung – es warf der Firma vor, Investoren mit falschen KI-Zusagen getäuscht zu haben. Obschon die genauen Umstände umstritten blieben, erregte der Fall Aufsehen als Beispiel für KI-Washing gegenüber Kapitalgebern.
- Apple „Intelligence“ beim iPhone 16 – Auch große Konzerne geraten in die Kritik: Apple wurde 2025 in den USA verklagt, weil beworbene KI-Funktionen des iPhone 16 in der Praxis kaum funktionierten oder noch gar nicht verfügbar waren (siehe computerbild.de). Die Klage wirft Apple irreführende Werbung vor – man habe den Eindruck erweckt, das neue iPhone enthalte fortschrittliche generative KI-Features („Apple Intelligence“), die sich dann als größtenteils Luftnummern herausstellten. Dieser Fall zeigt, dass selbst namhafte Hersteller das KI-Buzzword marketingtechnisch einsetzen und dafür rechtlich zur Rechenschaft gezogen werden können.
Diese Beispiele illustrieren, wie breit gefächert KI-Washing vorkommt – von kleinen Startups bis hin zu Großkonzernen, von Medizin über Softwareentwicklung bis zum Konsumprodukt. Oft genügt schon ein Hauch von Datenanalyse oder Automatisierung, um ein Produkt als „AI-powered“ zu labeln, obwohl kein maschinelles Lernen oder keine wirkliche Intelligenz im Spiel ist.
Rechtliche Bewertung: Unlauterer Wettbewerb?
Die Frage stellt sich, ob eine solche Praxis der überzogenen KI-Werbung rechtlich zulässig ist. In Deutschland gelten für Werbung grundsätzlich die Regeln des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). Werbung darf nicht irreführend sein – das heißt, sie darf keine falschen oder täuschenden Angaben über wesentliche Eigenschaften eines Produktes machen Genau das wäre aber der Fall, wenn ein Unternehmen KI-Eigenschaften behauptet, die gar nicht vorhanden sind. Tatsächlich stellt die explizite oder implizite Behauptung, ein Produkt enthalte KI-Technologie, obwohl dies nicht stimmt oder nur in geringfügigem Umfang, eine Irreführung im Sinne von §5 UWG dar (siehe it-recht-kanzlei.de). Eine solche geschäftliche Handlung gilt als unlauter und damit wettbewerbswidrig.
Die Konsequenzen können erheblich sein: Wettbewerber, Verbraucherverbände oder Aufsichtsbehörden können Unterlassungsansprüche geltend machen. Dies geschieht oft per Abmahnung, verbunden mit der Aufforderung, die täuschende Werbung einzustellen – und zumeist mit Kostennoten für den abgemahnten Werbenden. Kommt es zum gerichtlichen Verfahren, drohen im Falle von Verstößen einstweilige Verfügungen oder Unterlassungsklagen. Bei nachweisbaren Schäden könnte sogar Schadensersatz verlangt werden. Neben juristischen Sanktionen steht auch der Image-Verlust im Raum: Wird publik, dass ein Unternehmen falsche KI-Versprechen macht, leidet die Glaubwürdigkeit erheblich.
Spezielle Gesetze gegen KI-Washing existieren bislang nicht. Es wird jedoch diskutiert, ob es in Zukunft klare Richtlinien für KI-Werbung braucht. Derzeit muss man sich auf allgemeine Verbraucher- und Wettbewerbsrechtliche Normen stützen, um gegen KI-Washing vorzugehen. In der EU könnte perspektivisch der kommende AI Act indirekt für mehr Transparenz sorgen, doch dieser adressiert vor allem den Einsatz von Hochrisiko-KI und weniger Marketingaussagen. Juristische Einschätzungen von Experten betonen, dass die Definition von „echter KI“ im Streitfall relevant wird. Da der Begriff nicht trennscharf gesetzlich definiert ist, könnte es im Prozess darauf ankommen, ob die beworbene Technologie nach wissenschaftlicher Auffassung als KI einzustufen ist oder eben nur ein Algorithmus mit festem Regelwerk. Diese Grauzone macht die Rechtsdurchsetzung herausfordernd – aber grundsätzlich ist die bewusste Täuschung durch KI-Behauptungen ein Fall von unlauterem Wettbewerb im Sinne der Irreführung.
Fazit: Hype mit Folgen – ein ernstzunehmendes Marktproblem?
Die Analyse zeigt deutlich, dass die Vermarktung klassischer Software als angebliche KI kein Einzelfall ist, sondern ein verbreiteter Trend. Angetrieben vom Hype und der Faszination, die KI in der Öffentlichkeit auslöst, etikettieren viele Anbieter ihre Produkte vorschnell mit dem KI-Label. Dieses KI-Washing ist problematisch: Es verzerrt die Erwartungshaltung der Verbraucher, kann zu Fehlentscheidungen führen und letztlich das Vertrauen in digitale Technologien beschädigen. Kurzfristig mag das KI-Buzzword absatzfördernd wirken, doch wenn Kunden wiederholt die Erfahrung machen, dass hinter KI nicht mehr steckt als herkömmliche Automatismen, droht eine Ernüchterung mit Vertrauensverlust – vergleichbar mit dem „Buzzword Burnout“, der auf überzogene Marketingversprechen folgen kann.
Auch marktgerechtigkeit und Wettbewerb leiden unter diesem Trend. Firmen, die ehrlich kommunizieren und keine KI einsetzen, könnten ins Hintertreffen geraten gegenüber Wettbewerbern, die mit KI-Marketing blendend auftreten, ohne Substanz zu liefern. Das schafft einen ungerechten Vorteil durch Täuschung, was dem Prinzip eines fairen Wettbewerbs widerspricht. Rechtlich ist der Rahmen zwar abgesteckt – irreführende Werbung ist verboten – doch die Durchsetzung erfordert Fälle, in denen die Täuschung klar nachweisbar ist. In vielen Fällen bleibt KI-Washing in einer Grauzone, weil für Außenstehende schwer zu prüfen ist, wie intelligent eine Software im Inneren wirklich ist.
Es lässt sich feststellen, dass dieser Trend durchaus ein ernstzunehmendes Problem am Markt darstellt. Nicht nur werden Verbraucher in die Irre geführt, auch die Akzeptanz wirklich innovativer KI-Lösungen steht auf dem Spiel, wenn der Begriff „KI“ durch Überstrapazierung an Glaubwürdigkeit verliert. Ich finde das ärgerlich, ihr auch?
Es bedarf daher eines bewussteren Umgangs mit dem KI-Begriff – sowohl seitens der Unternehmen als auch von Seiten informierter Verbraucher und gegebenenfalls Regulierungsbehörden. Nur so kann sichergestellt werden, dass KI dort draufsteht, wo auch KI drin ist, und dass Vertrauen und Erwartungshaltung der Gesellschaft gegenüber KI-Technologien auf realistischen Grundlagen beruhen. Die momentane Entwicklung mahnt zur Vorsicht: Wird KI vor allem als Schlagwort missbraucht, leidet am Ende die Innovation selbst. Es liegt im Interesse aller Marktteilnehmer, diesem Hype ohne Substanz Einhalt zu gebieten, bevor nachhaltiger Schaden entsteht.